Revolution made in Spain

Die Bewegung „Echte Demokratie jetzt!“ macht Modell. Sogar auf dem Karlsplatz in Wien entstand ein Protestcamp: „Yes we camp!“. Aus gegebenem Anlass hier eine Analyse von Spaniens innovativstem Exportprodukt.

 

von Fabian Unterberger

 

„Wir sind keine Ware in den Händen der Politiker und Banken!“. Die Bewegung 15M, in Anlehnung auf die jüngsten arabischen Demokratiebewegungen nach ihrem Geburtsdatum benannt, hält Spanien weiterhin in Atem. Auch international findet der Protest der „empörten BürgerInnen“ großes Echo. Im öffentlichen Raum manifestiert sich die Antithese zur scheinbaren Alternativlosigkeit der Krisenrezepte des IWF und der EU.

Die Eliten reagieren nervös: der von 20.000 Menschen besetzte Platz der Bastille in Paris wurde in Windeseile in Tränengas getaucht und geräumt, in Barcelona friedliche DemonstranInnen aller Altersgruppen brutal attackiert.

„Eine Mobilisierung wie diese“, schreibt die spanische Tageszeitung EL PUBLICO, „hat es in den letzten Jahren in Spanien nicht gegeben. Keine Gewerkschaft, keine Partei und keine große NGO scheint hinter diesen Protesten zu stecken.“

 

Vom Absturz zur Empörung

 

Ihre Wurzeln hat sie in der kürzlich gegründeten Plattform „Jugend ohne Zukunft“. Auf deren Mobilisierungen folgte der Aufruf des Bündnisses „Echte Demokratie jetzt!“ zu einer landesweiten Demonstration am 15. Mai, dem insgesamt 130.000 Menschen folgten. Dem Protest der Jungen hatten sich längst auch die älteren Generationen angeschlossen. Die Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse betrifft sie alle. 36% der Arbeitsverträge in Spanien waren 2006 befristet, sie waren die Ersten, die ab 2008 gekündigt wurden. Die Langzeitarbeitslosigkeit ist seit damals auf das Vierfache angestiegen, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 40%. Die Breite der Bewegung spiegelt den Verarmungsprozess großer Teile der spanischen Gesellschaft wider. Von der Streichung der Langzeitarbeitslosenhilfe und jugendfeindlicher Bildungspolitik bis zur Einfrierung der Pensionen und der Anhebung des Antrittsalters auf 67: die Krisenpolitik der sozialdemokratischen Regierung Zapateros treibt Jung und Alt auf die Straße.

Die Legitimität der repräsentativen Demokratie liegt in Trümmern, die Mehrzahl der Bevölkerung sieht sich in keiner der Parteien oder Gewerkschaften repräsentiert. In den Kommunalwahlen vom 22. Mai stieg die Zahl der WeißwählerInnen auf knapp 600.000, damit sind sie die viertstärkste Kraft im Land nach PSOE, PP und IU. Die Bewegung hat damit eine recht diffuse und affektive „Empörung“ zur einenden Grundlage und bewegt sich abseits ideologischer Schemata oder politischer Traditionen.

 

Zwischen Minimal- und Maximaldiskurs

 

Was der breiten Mobilisierung förderlich, entpuppte sich im entfalteten Prozess angesichts mühsamer und stockender Debatten über gemeinsame Forderungen als Stolperstein. Um die inhaltliche Dimension der Bewegung zu erahnen, lohnt sich aber ein Blick auf die Homepage der Plattform „Echte Demokratie Jetzt!“. Von der Aufteilung der Arbeit ist da die Rede, von partizipativer Demokratie und dem Recht auf Wohnen. Während diese Forderungen keineswegs überall konsensfähig sind, geht in weiten Teilen der Bewegung der Diskurs darüber hinaus. „Wir wollen diese repräsentative Demokratie nicht mehr, die immer die gleichen gebrochenen Wahlversprechen zur Grundlage hat, mit Politikern, die machen was sie wollen anstatt dem Volk zu dienen und selbst knietief im Korruptionssumpf stecken.“, meint etwa Aguirre Such, Sprecher des Protestcamps in Madrid.

 

Ausblick

 

Die inhaltliche Dimension der Bewegung ist allerdings sehr dynamisch, organisiert sie sich doch in offenen Asambleas (Versammlungen) und bietet damit Raum für vielfältige Vorstellungen. Nach wochenlangen Asambleas in den Zentren der Städte verlagern sich diese nun langsam in die Bezirke, nur noch alle 14 Tage soll eine zentrale Asamblea General am Hauptplatz abgehalten werden. Der Dezentralisierungsprozess hat der Bewegung neuen Schwung verschafft, allein im Großraum Madrid partizipierten 25.000 Menschen in 120 Bezirksversammlungen. Sie alle sprachen sich dafür aus, den am 19. Juni geplanten Sternmarsch auf das Parlament in Madrid zu unterstützen, der unter dem Motto „Gemeinsam gegen die Krise und das Kapital“ stattfinden wird. Damit wird „Echte Demokratie jetzt!“ in Spanien wohl auch in nächster Zeit nicht so schnell von der Bildfläche verschwinden. Ob das Modell im Rest Europas Schule machen wird, hängt allerdings davon ab ob es gelingt, klare Alternativen zur neoliberalen Krisenstrategie zu entwickeln und ein Organisationsmodell zu finden, das die Vor- und Nachteile der Horizontalität unter einen Hut bringt. Bisher scheint dem nur bedingt so zu sein, einendes Element bleibt die „Empörung“.  Die europaweite Mobilisierung #europeanrevolution am 29. Mai fand demnach außerhalb Spaniens, Griechenlands und Frankreichs kaum Resonanz. Um der anspruchsvollen Aufgabe der Neuentdeckung und Besetzung politischen Raumes gerecht zu werden, wird es wohl auch in Wien mehr brauchen als ein „Yes we camp!“.

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