„Alle Macht den asambleas!“

Und sie bewegt sich doch! Auch wenn mensch in den letzten Tagen zumindest in Sol den Eindruck hatte, als drehe sie sich vor allem um sich selbst, zeigte die Bewegung gestern mit einer kraftvollen wenn auch kleinen Demo vor dem Kongress, wie viel Lust zum Widerstand noch in ihr steckt. Während die Abgeordneten im Parlament über die Reform der Kollektivverträge (1) debattierten, harrten 1500 – 2000 Leute vor der Polizeisperre sechs Stunden lang aus, um in nicht enden wollenden Sprechchören ihre Wut über die faktische Abschaffung der Kollektivverträge zum Ausdruck zu bringen. (Video).

In Toledo und in Valencia bildeten sich spontane Solidaritätsdemonstrationen. Mehrer Personen verbrachten die Nacht vor der valenzianischen Autonomiebehörde. Sie wurden am Vormittag um einige hundert DemonstrantInnen verstärkt, um gemeinsam gegen den aus den Regionalwahlen hervorgegangenen Kongress zu protestieren, in dem ein gutes Dutzend der Korruption angeklagte Abgeordnete sitzen. Zu Mittag kam es dort zu heftigen Polizeiangriffen auf die friedliche Menge, die sich weigerte den Weg für die Abgeordneten freizugeben. Damit hat nach den brutalen Attacken der Polizei Kataluniens, den berüchtigten „Mossos“, erstmals auch die policia nacional die Bewegung offen angegriffen. Die Abwartestrategie der Regierung scheint Risse zu zeigen, offenen Protest gegen die Abgeordneten nicht so einfach hingenommen zu werden. Umso gespannter wird der 11. Juni erwartet, an dem in allen Städten Spaniens zu Protesten gegen die aus den umstrittenen Wahlen hervorgegangenen Lokalregierungen  mobilisiert wird.

Die Bewegung löst sich damit aus der Lethargie, die sich über die acampadas zu legen begonnen hatte, gefangen in nicht enden wollenden Diskussionen darüber ob, wie und wann diese abgebaut werden sollten. Ein neuer Schwung an Mobilisierungen bringt frische Dynamik, die Abhaltung von über 120 barrioasambleas (Stadtteilversammlungen) allein im Großraum Madrid und unzähligen mehr in den anderen Städten und Dörfern Spaniens verschafft der Bewegung eine neue Basis. Das drückt sich zum einen in einer Belebung der inhaltlichen Debatten aus, die zuvor in den acampadas ins Stocken geraten waren. Zum anderen in einer von allen barrioasambleas beschlossenen Unterstützung der Demonstrationen unter dem Motto „Gemeinsam gegen Krise und Kapital“ am 19. Juni. Diese werden sich aus den barrios auf den Kongress zu bewegen um ihn schlussendlich einzukreisen. Im Aufruftext heißt es: „Wir lehnen den Pakt [Anm.:den die Gewerkschaften mit der Regierung geschlossen hat],der die Beschneidung von Rechten vorsieht, welche in Jahrzehnten des ArbeiterInnenkampfes erreicht wurden wie z.B wie im Fall der Pensionen oder der Kollektivverträge, grundsätzlich als Verrat an den ArbeiterInnen ab.“ Weiter: „Gegen die Arbeitslosigkeit: Klassenkampf!“. Nicht nur diese neue Welle an Mobilisierungen zeugt von einem wieder gewonnenen Klassenbewusstsein innerhalb der Bewegung, auch auf der Demonstration vor dem Kongress stach unter den Sprechchören immer wieder der Aufruf zum unbefristeten Generalstreik raus. Die offenen Angriffe auf ArbeiterInnen, wie eben die Reform der Kollektivverträge, sind hier nur weiteres Öl ins Feuer.

Es scheint, als wäre damit ein Schritt nach vorne gemacht worden, der ein Zusammenfallen der Bewegung verhinderte. Die acampadas in den kleineren Städten wurden zum großen Teil schon abgebaut, Madrid wird am Sonntag symbolisch in die an diesem Tag stattfindenden Stadtteilversammlungen marschieren. Die Dezentralisierung der Bewegung wird von einer landesweiten Koordination begleitet, am 4., 3. und 5. Juni haben sich 56 Städte in Madrid vernetzt und gemeinsame Forderungen und Mobilisierungen beschlossen. Das Instrument der Platzbesetzungen hat sich mittlerweile weitgehend erschöpft, wobei ein gesundes Verständnis dafür existiert, dass diese eben kein Selbstzweck sondern nur eine Etappe der Proteste darstellen. Während nicht alle asambleas den harten Konsens zur Entscheidungsfindung gewählt hatten, hatte sich in Madrid, wo ein Veto ausreicht um Prozesse lahm zu legen, die Debatte über Sinn und Zweck der acampada über mehrer Tage hingezogen. Obwohl alle Kommissionen und 99% der asamblea die Entscheidung, am Sonntag den Platz zu räumen, unterstützen, weigerte sich eine kleine Gruppe von BesetzerInnen diese zu akzeptieren und blockierte durch Veto. Nach stundenlangen emotionalen Diskussionen wurde ein Konsens beschlossen, der darin besteht, keine Entscheidung zu treffen. Die die bleiben wollen, bleiben, die die gehen, werden gehen. Klar ist, dass das nicht viele sein werden, unklar aber was im Falle einer (sehr wahrscheinlichen) Räumung dieser Leute passieren wird. Diese Debatte hatte jegliche inhaltliche Arbeit verhindert, die Dezentralisierung in die Barrios scheint damit ein Schritt in die richtige Richtung. Der Sympathien der Bevölkerung kann sich die Bewegung jedenfalls sicher sein. Laut einer in ElPais veröffentlichten Studie, halten 81% der Befragten die Anliegen von 15M für berechtigt, 84% meinen, die Forderungen würden ihr Leben direkt betreffen.

# Fabian Unterberger

(1)

Im Rahmen einer „inneren Flexibilisierung“ soll es möglich werden, auch innerhalb der Kollektivverträge Löhne kurzfristig zu senken, Stunden zu kürzen oder zu erhöhen usw. um auf Umsatzeinbrüche zu reagieren. Sektorverträge oder Unternehmensverträge sollen die Kollektivverträge mittelfristig ersetzten. Mit der automatischen Verlängerung der Kollektivverträge soll Schluss gemacht, die Löhne fortan an die Produktivitätsentwicklung
angebunden werden.

Quelle: http://www.facebook.com/event.php?eid=174157959311019&ref=mf

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